Routine?!

Jetzt bin ich doch schon eine ganze Weile hier und es ist allerhöchste Zeit, dass ihr mal etwas Genaueres über meine Arbeit und den mehr oder weniger regelmäßigen Alltag, der sich für uns ergeben hat, erfahrt. Ein "typischer" Tag also...

5:45 - der Wecker klingelt das erste Mal; aufwachen, Wecker ausschalten, nochmal umdrehen

5:50 - der Wecker klingelt zum zweiten Mal; jetzt aber schnell raus aus dem Bett und notdürftig fertig machen

5:55 - raus zur Tür und auf zum Girls Hostel (eine Art Internat für ca. 20 der 16- bis 18-jährigen Mädchen, die auf dem College der IGL nebenan eine Ausbildung zur Krankenschwester machen); am Anfang hatten wir für den 5-minütigen Fußweg immer einen der Watchmen (Wachmann) als Begleitung, mittlerweile dürfen wir aber ganz allein gehen :D

6:00 - jetzt startet die Morgenandacht (vorausgesetzt alle Mädels sowie unsere Übersetzerin sind bereits da)

 

Die Morgenandachten starten für gewöhnlich mit einem Gebet und Liedern der Mädels. Anschließend lesen wir gemeinsam einen Bibeltext zu dem wir eine kurze Andacht gestalten. Wir sprechen darin verschiedene Glaubensthemen und Themen wie Selbstwert etc. an. Je nach Thema überlegen wir noch eine kleine Kreativaktion dazu, singen oder basteln etwas. Am Ende wird nochmal gebetet und dann starten alle in den Tag. Es ist wirklich eine schöner gemeinsamer Start in den Tag. Da lohnt sich auch das frühe Aufstehen (Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag).

 

6:30 - unsere Andacht ist mehr oder weniger pünktlich zu Ende; wir machen uns auf den Rückweg mit wundervollem Blick auf die Berge, so lässt sich´s leben :D

6:35 - wieder im Guest House nutzen wir die Zeit zum Vorbereiten, Bibel lesen, Tagebuch schreiben, Stille Zeit machen:) ...oder wir legen uns nochmal ins Bett 

gegen

8:00 - Endlich Frühstück! Am Anfang haben wir oft "westliches" Frühstück gegessen, sprich Toast mit Marmelade oder Ei. Wenn Teams aus Australien oder den USA hier sind, ist das auch jetzt noch so, aber normalerweise essen wir indisches Frühstück oder Müsli. Indisches Frühstück besteht entweder aus Poori (lässt sich wohl am besten als fettigen Fladen beschreiben) mit Kartoffeln oder Dossa (sieht aus wie Pfannkuchen, schmeckt aber nicht so) oder Idli (Reisküchle) mit Soße. Klingt für euch wahrscheinlich spannend, aber ich hab es sehr zu schätzen gelernt und finde es Seher lecker :D 

 

9:00/ 9:30 (abhängig vom Tag und der indischen Pünktlichkeit unseres Fahrers) - los geht´s zum ersten Programm

... die einzelnen tagesabhängigen Programme erkläre ich später...

gegen 14:00 (je nach Tag) - Genial lecker indisches Mittagessen:) Meistens Reis, entweder angebratenen oder mit Soße. Und überraschender Weise finden wir das auch nach fast drei Monaten noch echt lecker.

ca. 15:00 - Schon folgt unser nächstes Programm, nachdem wir meistens noch im YMCA Pause gemacht und gelegentlich indisch süßen Tee getrunken haben

17:00 - normalerweise startet nun noch ein Programm im YMCA, nur donnerstags geht´s jetzt schon zurück nach Sharon

spätestens 19:00 - unser letztes Programm ist zu Ende; wir sitzen noch im YMCA bis wir mit unserem Fahrer zurück Richtung Sharon aufbrechen

20:30 - Endlich gibt´s Abendessen! Entweder es gibt wieder Reis oder Chabatti (sehr leckerer Fladen) mit Soße. Oder es gibt beides :D Danach wird gelegentlich noch die Andacht für den nächsten Tag vorbereitet oder es gibt ´nen Film und dann geht´s fix ins Bett :D

So also unser ungefährer, indisch regelmäßiger Tagesablauf:) Die Programme variieren aber je nach Tag...

So besuchen wir montagmorgens verschiedene Frauengruppen in Randbezirken der Stadt oder in Dörfern. Schon allein die Menschen dort und ihr Leben auf dem Dorf zu sehen ist beeindruckend und sehr verschieden je nach Ort, aber noch beeindruckender ist, was wir dort erfahren. Die Frauen in den Gruppen haben nämlich einen Mikro-Kredit von der IGL (Indian Gospel League), einer der Organisationen für die wir arbeiten, bekommen. Damit versuchen sie, ein Geschäft aufzubauen, um ihr Einkommen zu verbessern und so ihr Leben zu verändern. Und das funktioniert tatsächlich, wenn wir uns die Geschichten der Frauen anhören. Es ist so beeindruckend zu sehen, wie diese Frauen ihr Situation, in Armut zu leben und ihren Männern meistens stark untergeordnet zu sein, akzeptieren, aber nicht resignieren, sondern versuchen das Beste daraus zu machen. Oft müssen sie schon hart kämpfen, um überhaupt in diese Gruppen gehen zu dürfen und auch das aufbauen der Geschäfte ist hart. Eine Frau erzählt uns, sie habe früher ausschließlich im Haus gearbeitet, ein Leben außerhalb ihrer vier Wände kannte sie nicht… Eine 25-jährige Frau erzählt, dass sie durch die Chance, die sie durch die IGL bekommt, in die Schulbildung ihres 12-jährigen (!!) Sohnes investieren kann und wieder eine andere, dass sie, seit sie Geld hat, viel unabhängiger ist, vor allem aber einen Wert in der Familie bekommen hat und ihr Mann Entscheidungen nun mit ihr bespricht. Sehr beeindruckende Geschichten, die man da zu hören bekommt und die wir dokumentieren sollen. Geschichten von starken Frauen, die uns auch unser Leben zu schätzen lehren, und ich bitte euch, dass ihr für dieses Projekt und vor allem natürlich die Frauen und ihre Familien betet. Immer wieder besuchen wir auch Nähzentren sowohl der IGL als auch des YMCA, wo wir ähnliche Geschichten hören. Denn dort bekommen Frauen die Chance, nähen zu lernen, zum Teil auch angestellt zu werden und so selbst für ihren Unterhalt zu sorgen und nicht ausschließlich auf ihre Männer angewiesen zu sein. 

Montagmittags gestalten wir normalerweise den Uni-Y-Club in einem College für junge Lehrerinnen. Da diese im Moment aber praktisches Training haben, findet der Club gerade nicht statt. Inhaltlich entspricht er aber den Hi-Y-Clubs, die wir mittwoch-, donnerstag- und freitagmittags an drei verschiedenen Schulen und donnerstagmorgens im Jugendgefängnis durchführen. Da die Schüler hier bis vier in der Schule sind und dann noch lernen und Hausaufgaben machen müssen, ist christliche Jugendarbeit wie wir es kennen hier leider kaum möglich. Deswegen gehen wir mit Abraham in die verschiedenen Einrichtungen und gestalten dort zwischen 30 Minuten und einer Stunde mit Spielen und einer anschließenden Geschichte. Mädels und Jungs müssen bei den Spielen stets getrennt werden und sitzen auch in der Klasse getrennt. Bei manchen Spielen kann es dann vorkommen, dass die eine Gruppe durch Ausscheiden irgendwann so klein ist, dass das Spiel kaum mehr funktioniert. Vor einigen Wochen hat Abraham es sich dann erlaubt, die Schüler aufzufordern, sich zu mischen. Die Reaktion seitens der Schüler lässt sich wohl am besten als eine Mischung aus Schock, Aufregung und Entsetzen, mit einer großen Prise Geschrei beschreiben. War für uns ziemlich witzig, aber manche Schüler haben dann tatsächlich lieber aufgegeben als sich zu mischen. Ziemlich krass, aber so erlebt man hier ein Stück Kultur… Die Geschichte, die danach erzählt wird, darf nicht direkt christlich sein, da alles Einrichtungen sind, die dem Staat unterstehen, soll aber eben christliche Werte vermitteln und wichtige gesellschaftliche Themen ansprechen. So wird zum Beispiel verantwortungsbewusstes Handeln oder soziale Gerechtigkeit angesprochen. Die Kinder sollen in diesen Stunden Spaß haben und sich gleichzeitig mit wichtigen Themen auseinandersetzen und zum Nachdenken angeregt werden, da dies im Schulsystem hier leider kaum vermittelt wird. Diese Arbeit macht mega Spaß und ist meiner Meinung nach voll wichtig und wird von vielen Schülern auch sehr geschätzt.

Montag- und freitagabends unterrichten wir im YMCA 1 1/2h deutsch. Wir haben zwar mit 2 bis max. 5, nur relativ wenige Schüler, aber die sind dafür wirklich motiviert und richtig gut und es macht voll Spaß sie zu unterrichten. Im Gegenzug versuchen wir auch Tamil zu lernen, aber wir stellen uns dabei nicht halb so geschickt an. Ist mit deren 246 Silbenbuchstaben aber auch echt schwierig…

 

Dienstags haben wir komplett frei und unser Mittwoch startet nach der Morgenandacht mit Büroarbeit in der IGL. Da heißt es dann Briefe übersetzen, in Ordner einsortieren und die Daten, die wir montags in den Frauengruppen gesammelt haben, in das Computersystem eingeben. Es gibt Aufgaben, die mehr Spaß machen, aber das gehört eben auch dazu und es ist, untebrochen durch unseren Tamilunterricht, ja auch nicht so lang. Danach geht es dann direkt in einer der Schulen zum High-Y. Mittagessen gibt es erst danach. Nach einer längeren Pause findet dann am Abend die Jugendgruppe des YMCA für junge Erwachsene nach der Highschool statt. Wir versuchen unser Programm möglichst kreativ und abwechslungsreich zu gestalten, was aber aufgrund der stark variierenden Gruppengröße im Moment etwas schwierig ist. Meistens basteln wir oder machen Gesellschafts- und Gruppenspiele. Einmal haben wir Jonglierbälle gebastelt. Allerdings kam die Idee mit dem jonglieren nicht so gut an und man hat die Bälle lieber bemalt und verwendet sie jetzt als Briefbeschwerer… Auch gut;) Ach, und HalliGalli wird hier von allen total gefeiert und wann immer man noch Zeit in der Gruppe hat und kein Programm mehr, wird das mit vollem Körpereinsatz gespielt.

 

Donnerstagmorgens fahren wir ins Jugendgefängnis, um dort unser High-Y-Programm durchzuführen. In diesem Gefängnis sind Jungs zwischen 13 und 17 Jahren, die dort für kleinere und größere Verbrechen unterschiedlich lange Zeit verbringen. Manche der Jungs werden aufgrund ihrer Handelns und ihres Aufenthaltes im Jugendgefängnis von ihren Familien gemieden und haben so auch kaum Chancen dort raus zu kommen. Gerade deswegen ist unsere Aufgabe dort so wichtige - den Jungs einfach Aufmerksamkeit schenken, ihnen ohne Vorurteile begegnen, sich mit ihnen beschäftigen, zuhören, sie ermutigen und ihnen Gelegenheit zu Spiel und Bewegung geben. Für die Jungs ist das nicht selbstverständlich und wird sehr geschätzt.

Nach einer kurzen Pause im YMCA geht es in eine weitere Schule zum High-Y-Club. Anschließend zum Tamilunterricht zurück nach Sharon und eigentlich steht danach noch Spielzeit mit den Kinderheimkindern auf dem Programm. Das gestaltet sich aber aufgrund der Sprachbarriere etwas schwierig, aber wir bemühen uns und die Kinder sind auch echt goldig :D

 

Der Freitag startet nach der Morgenandacht relativ spät und entspannt in YMCA. Mittags geht es dann zum letzten High-Y-Club der Woche. Ja, unsere Geschichte können wir zum Ende der Woche hin immer recht gut auswendig, aber Spaß macht´s auch beim fünften Mal noch. Danach geht´s wieder in YMCA und am Abend dann noch zum Deutschunterricht. 

Das Wochenende läuft etwas anders ab als unser Programm unter der Woche. Jeden ersten und dritten Samstag im Monat fahren wir mit Mitarbeitern der IGL zum Medical Camp. Das heißt wir besuchen die verschiedenen Kinderheime der IGL an dem Tag, an dem ein Arzt dorthinkommt, um die Kinder zu untersuchen. Unsere Aufgabe dabei ist es, die Kinder zu wiegen, zu messen und anschließend die Kinder, die bereits fertig sind, mit Spielen zu beschäftigen. Die Kinder sind echt goldig und freuen sich über die Spiele, sagen aber auch ganz geradeaus, wenn sie ein Spiel blöd finden, was uns dann durchaus auch mal in Spielmangel bringen kann... Aber wie wir herausgefunden haben finden sie in dem Fall ganz toll, Tiergeräusche nachzumachen;)

 

Am zweiten und vierten Samstag im Monat besuchen wir mit Abraham kleinere YMCAs in den Randbezirken von Salem, die Näh- oder Computerkurse anbieten, um den Menschen Zugang zu besseren Jobs zu ermöglichen. Dort stellen wir Fragen, machen Spiele und meist erzählt Abraham dann noch eine Geschichte.

Am Abend findet dann in "unserem" YMCA noch das sogenannte "Volunteers´s Meet" statt. Dieses Programm richtet sich an junge Erwachsene, die auch sonst im YMCA sind, und soll Zeit und Raum zum Nachdenken, für Austausch und Diskussion über gesellschaftlich relevante und strittige Themen geben und den Teilnehmern helfen, sich eine eigene, reflektierte Meinung zu verschiedenen Themen zu bilden, denn das ist in Indien aufgrund des ausgeprägten Hierarchiedenkens leider nicht selbstverständlich. 

Sonntagmorgens besuchen wir den englischen Gottesdienst und treffen dort auch viele Studenten aus Malaysia. Mir gefällt es dort sehr gut, weil man hier Lieder singt, die man kennt und bei denen man auch mitsingen kann, was uns bei den Tamilliedern verständlicher Weise eher schwerfällt. Mittags helfen wir manchmal im Gästehaus mit oder wir haben frei. Ist auch ganz schön:)

 

So sieht unsere Woche in der Theorie aus, aber vergesst nicht: Ich bin in Indien, es ist also alles recht flexibel... :P

Aber ich fühle mich auf jeden Fall voll wohl und bin euch sehr dankbar, dass ihr mich und meine Arbeit hier in verschiedenster Weise unterstützt. Vielen vielen Dank und euch alles Gute :D

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